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Tiefsee: Menschheit hat nicht einmal 0,1 Prozent des Meeresbodens gesehen

Seit Jahrzehnten schicken wir U-Boote und Tauchroboter in die ewige Finsternis der Tiefsee. Und dennoch sind weite Teile davon noch völlig unbeachtet geblieben.
Ein nesselartiges, weißes Weichtier mit langen, dünnen Tentakeln sitzt auf dem Stiel eines Schwammes, der auf einer dunklen Manganknolle im sandigen Meeresboden wächst. Die Tentakel erstrecken sich weit in die Umgebung, während das Weichtier einen Schatten auf den Boden wirft. Im Hintergrund sind verstreute Felsen und dunkle Bereiche des Meeresbodens zu sehen. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Ruhe und Tiefe in der Unterwasserwelt.
Jede neue Tauchfahrt stößt auf bislang unbekannte Lebensformen in der Tiefsee.

Erst 1977 entdeckten Menschen ein bis dahin komplett unbekanntes wie artenreiches Ökosystem: hydrothermale Quellen, besser bekannt als Schwarze Raucher, die ganz eigene Lebensgemeinschaften auf der Basis heißen, mineralischen Wassers versorgen. Doch auch Jahrzehnte später sind weite Bereiche der Tiefsee für uns weiterhin unbekanntes Territorium. Lediglich 0,001 Prozent des gesamten Tiefseemeeresbodens wurden bis in die 2020er Jahre von Menschen direkt oder über Tauchroboter in Augenschein genommen. 99,999 Prozent dieser Welt sind daher noch völlig unbesehen, kalkuliert ein Team um Katherine Bell von der Ocean Discovery League in Saunderstown – obwohl diese Gebiete knapp zwei Drittel der Erdoberfläche ausmachen.

Für ihre Studie hatte die Arbeitsgruppe knapp 44 000 registrierte Tiefseetauchgänge analysiert. Daraus errechnete sie, dass eine Fläche zwischen 2130 und 3823 Quadratkilometern direkt beobachtet wurde. Etwa 65 Prozent dieser Erkundungen fanden zudem innerhalb von 200 nautischen Seemeilen vor der Küste der USA, Japans und Neuseelands statt. Diese drei Staaten sorgen zusammen mit Frankreich und Deutschland auch für 97 Prozent aller Expeditionen. Das sorge wahrscheinlich für eine verzerrte Vorstellung, was sich in der Tiefsee befindet, weil manche Meeresgebiete praktisch komplett unerforscht sind, schreiben Bell und Co.

Ähnliches gelte für die Ziele der Expeditionen: Tiefsee-Canyons und ozeanische Rücken standen bislang meist im Fokus, während weite Ebenen des offenen Ozeans fern der Küsten oder Unterwasserberge deutlich seltener in Augenschein genommen wurden. Dabei sei visuelle Bildgebung eine der wichtigsten Methoden zur Erforschung des Tiefseebodens und gehöre neben der Kartierung und Probenahme zu den drei wichtigsten Säulen der Meeresforschung.

Per Definition beginnt die Tiefsee jenseits von 200 Metern unter der Meeresoberfläche, wohin immer weniger Licht vordringt, bis tiefstes Schwarz vorherrscht. Extrem hoher Druck und tiefe Temperaturen erschweren die Erforschung zusätzlich; Tiefseetauchfahrten sind wegen der technischen Herausforderungen daher sehr teuer und logistisch aufwändig. Die Erforschung des Abyssals – der Tiefen jenseits von 2000 Metern unter dem Meeresspiegel – begann erst in den 1950er Jahren. Etwa ein Drittel aller erfassten Tauchgänge erfolgte bis 1980 und erbrachte überwiegend nur niedrig aufgelöste Schwarz-Weiß-Bilder, deren wissenschaftlicher Gehalt niedriger einzustufen ist. Deutlich besser sieht es dagegen bei der Kartierung des Meeresbodens aus: Mit Hilfe von Satelliten oder über Schiffsonar konnte bereits ein Viertel des Grundes relativ genau erfasst werden.

Angesichts der immensen Lücken und der zunehmenden Gefährdung der Tiefsee fordern die Wissenschaftler eine Kraftanstrengung, um die Region besser zu erkunden: Inzwischen existieren beispielsweise Pläne, Minerale vom Meeresboden zu fördern, ohne dass man die Folgen abschätzen könne. Auch Plastikmüll findet sich zunehmend in diesen Tiefen.

  • Quellen
Science Advances 10.1126/sciadv.adp8602, 2025

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